13.11.2002

LANDTAGSREDE: Kinder fit machen gegen Verlockungen der Werbung

Der Bericht über die fortschreitende Verschuldung von Kindern und Jugendlichen hat deutlich gemacht: Immer mehr junge Menschen tappen in die Schuldenfalle. Immer mehr junge Menschen beginnen ihren Start in das Berufsleben mit einem Minus auf dem Konto, und viele von ihnen werden ihr Leben lang nicht aus diesem Dilemma herausfinden.

„Jetzt genießen – später zahlen“ – „Warum wollen Sie länger warten? Genießen Sie die Vorzüge Ihres neuen Autos schon heute – zahlen Sie nach Weihnachten“. Oder „zahlen Sie nur € 1,50 pro Tag.“ Nahezu in allen Konsumbereichen sind derartige Werbesprüche Bestandteil der Werbestrategie. Schnäppchen werden angeboten, auf Raten, oft mit der Drohung, dieses Angebot gelte nur für kurze Zeit. Ergo: Wer nicht zuschlägt, ist dumm.

Werbung wird gezielt auf junge Menschen ausgerichtet, um die Milliarden-Taschengeldbeträge abzuschöpfen. Geld, welches Kindern zur Verfügung steht – und leider auch solches, das ihnen nicht zur Verfügung steht. Und schon lange wird nicht mehr alleine das angeblich unverzichtbare Produkt beworben, sondern mindestens so aggressiv die Möglichkeit der Verschuldung als solche: „Mein Haus mein Boot, mein Auto!“ Wer das nicht hat, ist irgendwie hinter dem Mond oder hat einfach den falschen Finanzierungsberater, suggeriert eine Werbung.

Dies alles geht an Kindern und Jugendlichen nicht spurlos vorbei, sie machen mit und sind inzwischen in großer Zahl so sozialisiert, dass sie, eine Studie der Uni Oldenburg belegt das, es überhaupt nicht peinlich finden, Schulden zu machen und das Geliehene dann nur unpünktlich zurückzuzahlen.

Ich will auf eine Schuldenfalle noch besonders hinweisen: Das Handy. Für viele junge Menschen gehört das Telefonieren an jedem Ort, zu jeder Zeit zum Lebensgefühl. Man hat es! Nur dann bin ich in Verbindung, kann Kontakt aufnehmen, gerufen werden. Gezielt wurde Kindern und Jugendlichen durch Werbung ein Lebensgefühl vermittelt, das stark durch die Kommunikation per Handy und SMS geprägt ist – und man hört ja, dass dieses Lebensgefühl auch einigen Abgeordneten dieses Hauses nicht ganz fremd ist. Ganze Taschengelder gehen für die Handygebühren „drauf“. Handys sind ein nicht zu unterschätzender Grund, häufig der entscheidende für den Schritt in die Schuldenfalle. Jeder 2. der 12- bis 19jährigen hat heute ein Mobiltelefon. 1999 waren es noch 14%.

Die Strategie der Handy-Provider, erst den Kindern mit billigen Tarifen die Telefon-SMS-Kommunikation schmackhaft zu machen und dann die Gebühren vor allem für SMS schrittweise zu erhöhen, ist exemplarisch für den Aufbau einer Schuldenfalle. Das Ergebnis: Telefonrechnungen von 750 Euro sind nach Beobachtungen von Schuldnerberatern bei Schülern keine Einzelfälle.

Die fortschreitende Verschuldung von Kindern und Jugendlichen ist in dem uns vorliegenden Bericht umfassend beleuchtet worden – umfassend, aber nicht abschließend. Denn während viele Untersuchungen sich damit befasst haben, wie in privaten Haushalten allgemein die Verschuldung von immer mehr Menschen die Lebenswirklichkeit bestimmt, ist die Verschuldung von Kindern und Jugendlichen als eigenständiges Phänomen, das auch eigenständige Reaktionsmuster erfordert, bisher nicht ausreichend zur Kenntnis genommen worden.

Was können wir tun? Es wird wenig Sinn machen, von Jugendlichen oder Kindern zu fordern, keine Schulden zu machen. Auch habe ich wenig Hoffnung, dass die Werbeindustrie oder ihre Auftraggeber sich entschließen, ihr Verhalten zu ändern. Vielmehr muss darauf hingewirkt werden, dass die Kinder und Jugendlichen schon früh – sehr früh – fit werden, mit den Verlockungen und sozialen Drucksituationen so umzugehen, dass es möglichst nicht zu einer fortschreitenden Verschuldung kommt.

Die von der Landesregierung im Bericht u.a. genannten Handlungsfelder sind als erster Schritt deshalb folgerichtig:

  • Mehr Prävention in Schulen; schon in der Grundschule Aufklärung und Taschengeld-Training.
  • Die Förderung der Zusammenarbeit von Schulen und Schuldnerberatungsstellen.
  • Das Pilotprojekt Taschegeldberatung.
  • Eine Informationsschrift zur Verschuldung von Kindern und Jugendlichen.
  • Und die Studie der CAU zur Situation von verschuldeten Familien als Ausgangspunkt für die Beratung weiterer Handlungsansätze.

 

Wir sollten mit großer Aufmerksamkeit dieses von der Landesregierung in Auftrag gegebene Gutachten lesen, das mehr Aufschluss über die Situation von verschuldeten Familien und hoffentlich auch Kindern und Jugendlichen geben wird. Vielleicht ist es auch notwendig und sinnvoll, hier noch einmal nachzuarbeiten und eine Fragestellung nachzuschieben, die die spezifische Situation von verschuldeten Kindern untersucht.

Es gibt Handlungsbedarf. Denn es kann uns überhaupt nicht gleichgültig sein, ob junge Menschen bei Eintritt in das Berufsleben schon mit dem ersten Gehalt ihr belastetes Konto nicht zum Ausgleich bringen können – ein denkbar schlechter Start. Es gehört nicht viel Fantasie dazu.

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