22.02.2007

LANDTAGSREDE: Wir werden prüfen, ob das Programm für Schleswig-Holstein geeignet ist

Die Drogenpolitik des Landes Schleswig-Holstein orientiert sich an vier Säulen. Diese sind:

  1. Suchtprobleme frühzeitig erkennen und ansprechen (Prävention),
  2. rechtzeitig qualifizierte Hilfe für Suchtgefährdete und Suchtkranke anbieten (Therapie),
  3. das Angebot an Suchtmitteln einschränken, kriminellen Drogenhandel konsequent bekämpfen (Sanktion)
  4. und denjenigen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, die unheilbar sind (Überlebenshilfen gewährleisten).

 

Der Antrag des SSW betrifft die vierte Säule. Es geht um Menschen, die schwerstheroinabhängig sind und bei denen eine Therapie, die zu einem drogenfreien Leben führen könnte, nicht mehr in Aussicht steht. Die für diese Personengruppe zur Verfügung stehenden Hilfen sind zum einen die Methadon-Behandlung, zum anderen die im Antrag des SSW angesprochene kontrollierte Versorgung mit Diamorphin (Heroin).

Zur Erprobung und Evaluierung der Heroin-gestützten Behandlung Schwerstabhängiger ist in 7 Städten ein Modellprojekt vom Bundesministerium für Gesundheit durchgeführt worden. Dabei wurde bei wissenschaftlicher Begleitung die regelmäßige Versorgung an 443 solcher Patienten erprobt. Die bisher vorliegenden Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Heroinbehandlung eine erfolgreiche Therapie schwerstabhängiger Heroinkonsumenten darstellen kann.

Schleswig-Holstein war an dieser Studie nicht beteiligt sie fand in Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Frankfurt, Bonn, Köln und München statt. Vergleichbare Studien mit ebenso positivem Ergebnis gibt es in anderen europäischen Ländern.

Die betroffenen Personen, von denen jetzt noch 230 am Programm teilnehmen, wünschen eine Fortsetzung dieser Behandlungsmethode über das Modellprojekt hinaus, das am 30.6.2007 endet. So war der Stand zur Zeit des SSW-Antrages. Inzwischen steht fest, dass das Projekt verlängert wird, insofern ist kein dringender Handlungsbedarf mehr gegeben.

Die Erfolge des Projektes sind nach der Studie erkennbar: Für den betroffenen Personenkreis war eine deutliche Verbesserung der somatischen Gesundheit  festzustellen. Bis hin zu einer vor der Behandlung nie geahnten körperlichen und psychischen Fähigkeit, am gesellschaftlichen Leben ‑ bis hin zur Ausübung beruflicher Tätigkeiten ‑ wieder teilzunehmen. Es kam zu einer Absenkung der Beschaffungskriminalitätsrate. Die befürchteten Nachteile, dass sich um dieses Programm herum eine neue Drogenszene bilden könnte, sind hingegen nicht eingetreten.Natürlich ist die Verabreichung von Diamorphin an Schwerstabhängige immer nur das letzte Mittel und die zweite Wahl der Hilfe. Die von mir erwähnten drei weiteren Säulen sind vorrangig zu betrachten, die hier diskutierte Behandlungsmethode kann immer nur die letzte humane Hilfe zum Überleben für einen Personenkreis sein, der anderen Behandlungs- und Therapieformen nicht mehr zugänglich ist.

Die Zustimmung zur bzw. Ablehnung der Fortsetzung dieses Programms ging quer durch die Länder und Parteien. So haben z.B. der Bürgermeister von Hamburg, die Ministerpräsidenten von Niedersachsen und Hessen sich vehement dafür ausgesprochen, dieses Programm weiter zu behandeln. Auf Bundesebene und vor allen Dingen in der CDU-Fraktion gab es bisher erheblichen Widerstand, dieses Programm weiter zu führen. Zumindest für den bisherigen Personenkreis wird das Programm nun aber fortgesetzt.

Für ein regelmäßiges und flächendeckendes Angebot ‑ und darauf zielt der SSW-Antrag – wäre die Änderung des Betäubungsmittelgesetzes und des Arzneimittelgesetzes erforderlich. Und ich sage deshalb auch gleich, dass wir unsere Landesregierung zu einer solchen Bundesratsinitiative, wie vom SSW gefordert, nicht auffordern werden.

Schleswig-Holstein ist nicht am Projekt beteiligt, mit guten Gründen. Denn ob diese Art der Versorgung auch für Schleswig-Holstein geeignet ist, erscheint zumindest diskussionswürdig. So ist der Personenkreis in unserem Land so überschaubar, dass sich die Frage stellt, ob ein solches Programm bei uns überhaupt zu organisieren wäre. Nach Schätzung unserer Landesstelle Sucht Schleswig-Holstein (LSSH) handelt es sich dabei um ca. 300 Schwerstabhängige im gesamten Flächenland Schleswig-Holstein, von denen erfahrungsgemäß etwa 100 an einem solchen Angebot teilnehmen würden.

Es müsste aber eine Infrastruktur aufgebaut werden, die die Verabreichung des Heroins in sicherer und angemessener Umgebung gewährleistet. Dazu gehört ein 24-Stunden-Schichtdienst mit Fachkräften in unserem Flächenland. Diese Faktenlage führt dazu, dass wir Schleswig-Holstein für weniger geeignet halten, eine solche Initiative zu ergreifen, als solche Länder, die bereits am Projekt teilnehmen und einen ausgewiesenen Bedarf haben.

Wenn eine solche Initiative auf Bundesratsebene entsteht, werden wir uns positionieren, nachdem wir uns ausführlich beschäftigt haben. Deshalb, und weil wir uns grundsätzlich mit dem Programm und seinen Wirkungen beschäftigen wollen, stimmen wir für eine Überweisung in den Fachausschuss.

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