19.11.2009

LANDTAGSREDE: Es geht auch um das Selbstverständnis des Parlaments!

Landtagsrede vom 18.11.2009 zu TOP 2, Änderung des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig-Holstein (Drucksache 17/10)

Ausgangspunkt der Ausführungen des SPD-Abgeordneten Peter Eichstädt ist die Tatsache, dass die beiden Regierungsfraktionen ihre Mehrheit im Parlament nur erreichen konnten, weil kein vollständiger Ausgleich de Überhangmandate der CDU erfolgt. Ein neues Wahlgesetz muss also zum Ziel haben, dass künftig keine oder nur noch wenige Überhangmandate entstehen. Diese müssten dann jedoch voll ausgeglichen werden. Eichstädt problematisiert die Forderung nach Reduzierung der Anzahl der Wahlkreise, denn weniger direkt gewählte Abgeordnete bedeute, dass nicht mehr alle Regionen vertreten sind und die Möglichkeit, dass Bürger und Bürgerinnen direkt über Kandidatinnen und Kandidaten entscheiden können, eingeschränkt wird. Im übrigen würde auch eine Reduzierung der Anzahl der Wahlkreise Überhangmandate nicht völlig ausschließen.

Die Rede im Wortlaut:

Der vorgelegte Entwurf zur Änderung des Wahlrechts für den Landtag von Schleswig-Holstein befasst sich mit drei Bereichen. Der Entwurf soll Konsequenzen aus dem Ergebnis der letzten Wahl ziehen, wo durch Überhangmandate Mehrheitsverhältnisse im Parlament entstanden sind, die durch den Wählerwillen nicht legitimiert sind:

Im Klartext heißt dies, dass eine Regierung von zwei Fraktionen gebildet werden konnte, die ihre dafür erforderliche Stärke nur erlangen konnten, weil kein vollständiger Ausgleich der Überhangmandate der CDU erfolgte. Dadurch entspricht die quantitative Sitzverteilung im Parlament nicht der von den Wählern den einzelnen Parteien gegebenen Stimmen.

Zum Zweiten ist in dem Gesetzentwurf der Grünen eine Regelung enthalten, die sicherstellen soll, dass zukünftig keine oder nur noch wenige Überhangmandate entstehen können. Dazu soll die Anzahl der direkt gewählten Abgeordneten auf 30 reduziert werden, wobei dann in Zukunft 39 Abgeordnete über die Landeslisten der jeweiligen Parteien in den Landtag einrücken würden. Dieser Vorschlag hat im Wesentlichen mathematischen Charme; bei genauerer Betrachtung der Konsequenzen für die Arbeit des Parlamentes stellen sich hier Fragen, auf die ich später eingehe.

Zum Dritten regt der Antrag an, die Zusammensetzung des Parlaments nicht wie in der Vergangenheit nach den Grundsätzen des d´Hondtschen Zählverfahrens, sondern nach Saint Lague/Schempers zu ermitteln. Diese Frage des richtigen Höchstzahlverfahrens ist in der Vergangenheit noch in jedem Landtag diskutiert worden, wobei kleinere Fraktionen eher der jetzt vorgeschlagenen Regelung zuneigten, größere hingegen einen Veränderungsdruck nicht verspürten.

Interessanterweise findet sich im Koalitionsvertrag, der ja von einer sogenannten großen und einer etwas kleineren Fraktion vereinbart wurde, kein Hinweis auf die sonst von der FDP immer geforderte Umstellung des Meiststimmenverfahrens. Nur den kommunalen Vertretungen wollen sie die Änderung verordnen, nicht dem Landtag. Hier warten wir die Diskussion einmal ab.

Meine Fraktion hält es für erforderlich, das Landeswahlgesetz so zu ändern, dass in Zukunft ein voller Ausgleich von Überhangmandaten erfolgt und dass außerdem darüber nachgedacht wird, wie das Verhältnis zwischen Anzahl und damit Größe der Wahlkreise und der Anzahl der über die Landeslisten in das Parlament einrückenden Abgeordneten abgestimmt wird, um die Zahl der Überhangmandate möglichst gering zu halten. Ziel muss es sein, die in der Verfassung festgelegte Größe des Parlaments möglichst einzuhalten.

Hierzu gibt es eine Notwendigkeit, allerdings keinen zeitlichen Druck. Die Landtagswahl wird, wenn die CDU nicht zwischenzeitlich wieder Lust auf Neuwahlen verspürt, im Jahr 2014 stattfinden, was uns Gelegenheit gibt, die anstehenden Fragen in aller Gründlichkeit zu erörtern.

Lassen Sie mich dazu einige Anmerkungen machen.

Unzweifelhaft ist, dass die bisherige gesetzliche Regelung, die so interpretiert wurde, dass es zu keinem vollen Ausgleich von Überhangmandaten kommt, nicht hinnehmbar ist. Überhangmandate müssen nach unserer Auffassung voll ausgeglichen werden. Es ist nach allgemeinem Demokratieverständnis und dem Verständnis von Gerechtigkeit vieler Menschen in unserem Lande nicht zu vermitteln, dass das Parlament durch den fehlenden Ausgleich sich in anderen Mehrheitsverhältnissen darstellt als das tatsächliche Wahlergebnis und damit der Wählerwille.

Im Ergebnis haben wir jetzt eine Regierung, die über keine Mehrheit in der Bevölkerung, sondern nur im Parlament verfügt. Dies ist bedrohlich für die Demokratie, weil es dem fest verankerten Grundsatz „wer die meisten Stimmen hat, bildet die Regierung“ unterläuft und damit der Demokratie an sich Schaden zufügt.

Die Grünen schlagen in ihrem Regierungsentwurf des Weiteren vor, die Zahl der Wahlkreise und damit der direkt zu wählenden Abgeordneten von 40 auf 30 zu senken. Dadurch soll die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt zu Überhang- und Ausgleichsmandaten kommt, reduziert werden.

In der Tat ist es so, dass die meisten – nicht alle Parlamente in der Bundesrepublik in ihrem Wahlgesetz der Entstehung von Überhangmandaten und damit Ausgleichsmandaten vorgebeugt haben, indem sie annähernd die Hälfte der Abgeordneten eines Parlamentes direkt wählen, die andere Hälfte über die Listen der Parteien ermitteln. Damit wird die Gefahr, dass es zu Überhang- und Ausgleichsmandaten kommt, tatsächlich reduziert.

Es gibt aber auch andere Aspekte, die hier mit einfließen müssen. Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat zurzeit 40 direkt gewählte Abgeordnete, die damit auch sicherstellen, dass alle Regionen unseres Landes mindestens mit einem Abgeordneten im Parlament vertreten sind. Gleichzeitig wird gewährleistet, dass dabei Wahlkreise von einer Größe entstehen, die von einem Abgeordneten oder einer Abgeordneten gut und wirksam betreut werden können.

Die Reduzierung auf 30 Wahlkreise würde dazu führen, dass diese deutlich größer werden und dadurch in Frage gestellt ist, dass alle Regionen des Landes – und damit die Bürgerinnen und Bürger angemessen und ausreichend im Parlament vertreten sind. Diese wichtige Frage, darf nicht nur aus der Sicht der großen Städte beantwortet werden. Natürlich ist es einfacher, in einem Ballungsraum wie Kiel oder Lübeck einen einwohnermäßig stärkeren Wahlkreis auf immer noch kleiner Fläche zu betreuen, als dies zum Beispiel in Nordfriesland, Dithmarschen oder dem Kreis Herzogtum Lauenburg der Fall ist.

Es wird gerne das Argument herangezogen, dass die Bundestagsabgeordneten es ja auch schaffen, einen weitaus größeren Wahlkreis zu betreuen. Hier muss aber gesehen werden, dass Bundestagsabgeordnete in ihrem gesamten Equipment, besonders in der Anzahl der ihnen zur Verfügung stehenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen deutlich besser ausgestattet sind als Landtagsabgeordnete, die für ihre Wahlkreisarbeit Hilfe im Umfang von 10 Arbeitsstunden wöchentlich zur Verfügung haben.

Im Übrigen bedeutet eine Reduzierung der Wahlkreise eine Verringerung der Möglichkeit, dass Bürger und Bürgerinnen direkt, das heißt über den persönlichen Eindruck der Kandidatinnen und Kandidaten entscheiden können, wer sie im Landtag vertritt. Die auf den Listen der Parteien erscheinenden Kandidaten bleiben weitgehend anonym.

Das Gewicht der Parteienlisten würde größer werden. Listen von Parteien werden aber nicht automatisch so zusammengestellt, dass sie das gesamte Land bzw. alle Regionen repräsentieren.

Im Übrigen ist auch mit einer Reduzierung von 40 auf 30 Wahlkreise nicht ausgeschlossen, dass es zu Überhang- und Ausgleichsmandaten größerer Zahl kommt. Wir haben bereits für die Wahl 2005 die Zahl der Wahlkreise reduziert, um der Entstehung von Überhang- und Ausgleichsmandaten vorzubeugen, bei gleichzeitiger Reduzierung der Größe des Parlaments.

Seinerzeit sind wir von 75 auf 69 Abgeordnete gegangen, haben gleichzeitig die Wahlkreise von 45 auf 40 reduziert. In der Tat war das Ergebnis, dass nach der Wahl im Jahr 2005 69 Abgeordnete im Landtag saßen, also kein Überhang- und kein Ausgleichsmandat zu verzeichnen war.

Im Jahr 2000 vor der Änderung waren es hingegen statt 75 noch 89 Abgeordnete. Die damals vorgenommene Gesetzesänderung hat im Prinzip das gewünschte Ergebnis erreicht, zumindest für die Wahl 2005. Dies war 2009 anders und ich bin sicher, es finden sich auch jetzt Kollegen, die dies natürlich alles vorausgesehen haben.

Es wird aber kaum möglich sein, vor jeder Wahl eine Prognose zu erstellen, wie die Gewichte zwischen den einzelnen Parteien nach der Wahl aussehen werden, um dann womöglich vorab das Verhältnis zwischen den direkt gewählten Wahlkreisabgeordneten und den Listenabgeordneten auszutarieren.

Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zu der dieser Debatte innewohnenden bzw. von der Presse hineingetragenen mäßigen Achtung des Parlamentes selbst machen. Gerade am Wochenende war da wieder ein beredtes Beispiel in einer Zeitung aus der Buddenbrook-Stadt zu lesen.

Es macht sich neben der rationalen Überlegung, wie Überhangmandate verhindert werden können, eine in meinen Augen bedenkliche Meinung breit, dass ein Parlament in erster Linie eins zu sein hat: nämlich klein und billig. Dieser Entwicklung müssen wir im Interesse der Demokratie entgegentreten. Es darf nicht sein, dass derjenige den größten Applaus der einschlägigen Presse erntet, der vorschlägt, dass das Schleswig-Holsteinische Parlament nur noch 30 oder weniger Abgeordnete, manche meinen am besten gar keine, haben soll. Es darf kein Wettstreit einsetzen, dass der der bessere Demokrat ist, der das Parlament zum billigsten Jakob macht!

Ich würde es mit meiner Fraktion sehr begrüßen, wenn neben der hier angesprochenen Frage nach der Anzahl der Wahlkreise, dem Zählverfahren und dem geeigneten Ausgleich von Überhangmandaten auch noch ein wenig Raum bleibt für die Frage nach dem Selbstverständnis, dem Inhalt und der Qualität der parlamentarischen Arbeit. Der Demokratie würde es gut tun, vielleicht auch einigen Journalisten.

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