17.11.2010

LANDTAGSREDE: Wir brauchen eine Medienkompetenzstrategie!

Landtagsrede vom 17.11.2010 zu TOP 9, Große Anfrage Medienkompetenz in der Informationsgesellschaft (Drucksache 17/861)

Die Fähigkeit, mit Medien und ihren Inhalten kompetent und selbstbestimmt umgehen zu können, muss jungen Menschen vermittelt werden, führt der medienpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Peter Eichstädt, aus. Es sollen Chancen und Möglichkeiten, aber auch die Grenzen und Gefahren des Internets und der neuen Medien insgesamt erkannt werden. Die Landesregierung richtet bisher wenig Aufmerksamkeit auf die Prävention, die Vermittlung eines kritischen Umgangs mit den Medien sowie die Aufklärung über Gefahren und über den Datenschutz. Denn gedankenlose Einträge junger User in Internet-Plattformen führen zunehmend zu gravierenden Schwierigkeiten. Was wir dringend brauchen, ist eine Medienkompetenzstrategie, vernetzt über alle Instanzen, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Das bringt, so Eichstädt, mehr als alle Regulierungen, Sperren und Kennzeichnungen.

Die Rede im Wortlaut:

Vor drei Jahren, als Schleswig-Holstein gemeinsam mit Hamburg die Medienanstalt Hamburg- Schleswig-Holstein gründete, gab es ein Ringen, ob die MA HSH auch die Aufgabe der Medienkompetenzförderung übernehmen sollte. Durch Druck der SPD kam sie dann noch rein. Inzwischen ist dies ein nicht wegzudenkendes Aufgabengebiet für die Medienanstalt Hamburg-Schleswig-Holstein. Vor drei Monaten haben wir in diesem Hause heftig über die Frage diskutiert, wie Kinder und Jugendliche besser vor den Gefahren von neuen Medien, im Besonderen des Internets, geschützt werden können. Trotz unterschiedlicher Einschätzungen, ob in diesem Bereich mit Regulierung, Verboten, Kontrolle der richtige Weg beschritten wird, waren sich alle einig: Die wirksame und effektive Antwort auf die Herausforderung kann nur die Förderung der Medienkompetenz sein. Kinder und Jugendliche wachsen heute in einer Welt auf, aus der das Internet und die digitalen Medien nicht wegzudenken sind. Sie bewegen sich in dieser Welt häufig weitaus selbstsicherer, als die Erwachsenen das tun, sie profitieren von den unglaublichen Chancen und dem Segen des Internets, das, nur vergleichbar mit der Einführung des Buchdrucks zu Gutenbergs Zeiten, Wissen aus der Herrschaft weniger in die Hände aller Menschen gegeben hat. Auf der anderen Seite stehen aber die Risiken und die Herausforderungen, mit denen nicht nur junge Menschen lernen müssen umzugehen. Die Große Anfrage der SPD-Fraktion sollte Aufschluss darüber geben, wo wir in Schleswig- Holstein stehen und welche Ansätze für einen souveränen, selbstverantwortlichen und kompetenten Umgang mit neuen Medien entwickelt werden können. Ich will zunächst all denen danken, die an der Beantwortung unserer Fragen mitgewirkt haben. Wir haben mit dieser Antwort eine gute Bestandsaufnahme, die Grundlage für die Entwicklung einer integrierten Strategie sein kann. Dass durch die Antworten auch Defizite deutlich wurden, ist kein Mangel, sondern in diesem Sinne hilfreich. Und ich weiß, dass viele Institutionen sehr viel umfangreicher Stellungnahmen abgegeben haben, als sie Eingang in diesen Bericht finden konnten. Also allen noch einmal Dank und Anerkennung für diese Arbeit. Unter Medienkompetenz verstehen wir die Fähigkeit, mit Medien und ihren Inhalten kompetent und selbstbestimmt umgehen zu können. Es sollen ihre Chancen und Möglichkeiten, aber auch die Grenzen und Gefahren erkannt werden. Dies ist eine Schlüsselqualifikation in unserer heutigen Informationsgesellschaft. Es ist unzweifelhaft so, dass diese Fähigkeiten zu einer zukunftsorientierten Persönlichkeitsbildung nicht nur von Kindern und Jugendlichen, sondern auch von Erwachsenen, älteren Menschen gehören. Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage zeigt neben vielen positiven Ansätzen auch gravierende Defizite und Lücken auf. Zentraler Punkt: Es fehlt eine Medienkompetenzstrategie der Landesregierung; diese definiert ihre Rolle vielmehr als die eines Koordinators zwischen den Ressorts. Die Vermittlung von Medienkompetenz an Kindertageseinrichtungen wird bisher noch zu wenig unterstützt, es bleibt den Einrichtungen weitgehend selbst überlassen, welche konkreten Angebote sie vorhalten. Weiter führt die Große Anfrage aus, dass die Medienkompetenz bisher nur unzureichend an den Schulen vermittelt wird. So ist Medienkompetenz in der Sekundarstufe 1 im Bereich „Aufgabenfelder von allgemeiner pädagogischer Bedeutung“ verankert, es gibt aber kein eigenes Fach, in dem auch Fragen der Prävention bei der Mediennutzung und der Datenschutz angesprochen werden sowie auf Gefahren hingewiesen und entsprechend sensibilisiert wird. In der Lehrerausbildung gibt es kein verpflichtendes Fach, in dem sachgerechte Vermittlung von Medienkompetenz angeboten wird. Und das Fazit: Die Landesregierung insgesamt zieht ihren Focus auf das Kennenlernen der neuen Medien, hat aber bisher wenig Aufmerksamkeit auf die Prävention, die Vermittlung eines kritischen Umgangs mit den Medien sowie die Aufklärung über Gefahren und über den Datenschutz gerichtet. Eine Medienkompetenzstrategie, vernetzt über alle Instanzen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, gibt es in Schleswig-Holstein nicht. Es gibt positive Ansätze, die sich aber noch nicht in eine erkennbare Strategie einordnen lassen. Insgesamt bringt die Antwort der Landesregierung zum Ausdruck, dass in Schleswig-Holstein eine Reihe von Projekten zur Medienkompetenzförderung vorhanden sind, diese jedoch nicht ausreichen, um die Herausforderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, zu bewältigen. Die Ausstattung der Schulen mit entsprechender Hardware ist außerordentlich unterschiedlich, in der Lehrerfortbildung werden noch bei weitem zu wenige Schulungen für Pädagogen angeboten. Auch ist es noch nicht ausreichend gelungen, ein ausgewogenes und sich stimmiges Curriculum zu entwickeln, das die Vermittlung von Medienkompetenz fächerübergreifend von der Kindertagesstätte bis zur 13. Klasse beinhaltet.

Aber es gibt durchaus Positives, was sich allerdings erst in jüngster Zeit entwickelt hat. Dazu gehören neben den Aktivitäten der MA HSH und des Offenen Kanals sowie des IQSH die Initiativen und Angebote der verschiedensten Institute, Ministerien und Organisationen, die sich alle im „Netzwerk Medienkompetenz Schleswig-Holstein“ zusammengefunden haben. Auch an der Universität Flensburg haben sich viele Fächer der Thematik angenommen und vermitteln Medienkompetenz. Lassen Sie mich im Zusammenhang mit Medienkompetenzförderung noch einen Blick auf die Veränderungen werfen, die sich in der Lebenswelt von jungen Menschen durch die zunehmend intensive Nutzung des sogenannten Web 2.0 ergeben. Denn die neuen Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten werden bei weitem nicht nur dazu genutzt, um Wissen abzufragen, zu sortieren und zu verwerten.

Facebook ist da nur das bekannteste Beispiel für diverse Netzwerke, die ihre Konzepte darauf ausgerichtet haben, möglichst viele Menschen mit z. T. erheblichem sozialen Druck in die Netzwerke einzubinden und sie dort zu halten mit dem Ziel, über die Auswertung der gewonnenen Daten Nutzer- und Persönlichkeitsprofile zu erstellen und diese kommerziell zu verwerten. Daten- und Persönlichkeitsschutz ist ein Fremdwort. Egal, was in Facebook kommuniziert wird – und das ist viel, weil vor allem Jugendliche, die nicht mitmachen, von vielen sozialen Kontakten abgekoppelt werden -, alles wird gespeichert und ausgewertet. Gedankenlose Einträge in Schüler VZ und Facebook führen zunehmend zu gravierenden Schwierigkeiten, in die meistens junge Menschen geraten. Jeden Tag sitzen Millionen Kinder und Jugendliche am Computer und chatten in sozialen Netzwerken, setzen Fotos ins Netz und sammeln Freunde, ohne an die Gefahren zu denken. Je mehr Kontakte man in sozialen Netzwerken hat, so scheint es, umso besser. Viele Nutzer gehen dabei sorglos mit persönlichen Daten um. Sie veröffentlichen private Kontaktdaten oder persönliche Fotos und wissen in vielen Fällen gar nicht, dass jeder Netzwerknutzer sämtliche Daten einsehen kann.

Es ist verbreitet unter Firmen-Personalchefs, in sozialen Netzwerken zu recherchieren und nach Fotos zu suchen, um so das Bild von einem Bewerber/einer Bewerberin für sich abzurunden.Nicht alle, die sich in sozialen Netzwerken bewegen, machen dies aus freundschaftlichen Motiven. Jugendliche nutzen Webseiten und soziale Netzwerke, um sich selbst zu inszenieren, aber auch um andere niederzumachen. Diese Erfahrung hat bereits jeder vierte User gemacht, er wurde beleidigt oder gar bedroht. Cyber-Mobbing ist ein vielen Jungen und Mädchen bekanntes Phänomen, oft zunächst als Scherz gemeint, aber mit gravierenden Folgen für die betroffenen Personen. Schilderungen über Morddrohungen, aber auch Selbstmorde auf Grund von Cyber-Mobbing sind keine Seltenheit mehr.

Es handelt sich bei all dem um keine kleine Randerscheinung. 68 % aller Deutschen zwischen 14 und 19 Jahren verbringen laut einer Studie der ZDF-Medienforschung regelmäßig Lebenszeit in solchen sozialen Netzwerken des Internets. Drei Viertel aller Jugendlichen haben bereits Fotos oder Filme von sich ins Netz gestellt. Jeder Vierte kennt Internet-Mobbing.

Das ganze Feld kann hier nur angerissen werden und ich hoffe, dass sowohl der Bericht als auch die Diskussion heute hier im Landtag dazu beiträgt, dass wir uns in Zukunft intensiver mit der dringend notwendigen Entwicklung einer Medienkompetenzstrategie für Schleswig-Holstein beschäftigen. Es sind, das zeigt die Antwort auf die Große Anfrage, gute Ansätze vorhanden, es gibt engagierte Akteure, aber es fehlt das Gesamtkonzept.

Eine Anhörung wird nicht nur spannend, sondern kann auch Initialzündung für die Fortentwicklung der Medienkompetenz sein. Und damit können wir mehr erreichen als mit allen Regulierungen, Sperren und Kennzeichnungen, wie wir sie zum Jugendmedienstaatsvertrag diskutiert haben.

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