31.10.2003

Rede: 100 Jahre SPD Ratzeburg

Als der für den Wahlkreis, in dem auch Ratzeburg liegt, gewählte Landtagsabgeordnete und Sozialdemokrat gratuliere ich dem SPD-Ortsverein ganz herzlich zu seinem 100. Bestehen.

100 Jahre Sozialdemokratie in Ratzeburg sind eine lange Zeit und eine Zeit voller Geschichte und Geschichten. Das Archiv der SPD Ratzeburg dokumentiert die Sozialdemokratie in dieser Stadt in schwierigen, dunklen Zeiten. Die Zeit der Gründung war geprägt von offenem Kampf, Verleumdungen und Herabwürdigungen durch die Konservativen, gegen diejenigen, die sich zur Arbeiterbewegung bekannten, die sich um ein Mandat als Sozialdemokrat bewarben. 1903 schrieb die in Ratzeburg erscheinende "Lauenburgische Zeitung":

"Die Sozialdemokratie hat sich innerhalb von 30 Jahren von kleinen , unbedeutend scheinenden Anfängen zu einer Stärke entwickelt, die niemand hätte ahnen können. Tausende armer Betörter sind den Lügen der sozialdemokratischen Allesversprecher verfallen. (...) Seid einig, Lauenburger, und reicht Euch über alle Parteiengrenzen hinweg fest die Hand zum Kampf gegen den gemeinsamen Feind: die Sozialdemokratie."

Und als dann der Sozialdemokrat Lesche über den Konservativen von Bernstorff im Jahr 1903 den Wahlkreis bei der Reichstagswahl gewann, schrieb die Lauenburgische Zeitung voller Entsetzen und kein bisschen um Neutralität bemüht, wie wir es heute von der Presse kennen:

"Unser Wahlkreis ist der Sozialdemokratie ausgeliefert, über dem Lauenburger Lande weht die rote Fahne."

1903 ist auch das offizielle Gründungsjahr des SPD-Ortsvereins Ratzeburg - von Mitgliedern des Bauhandwerkes und von Eisenbahnern in einem Hinterzimmer, so wie sich Sozialdemokraten nicht nur in Ratzeburg meist privat trafen, Schriften nicht mit der Post schickten, sondern durch Boten überbrachten. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt in der Ratzeburger Stadtvertretung kein Sozialdemokrat vertreten war, waren Sozialdemokraten an der Wahl zum Reichstag mit Verteilung von Material und Wahlwerbung für den SPD-Kandidaten beteiligt. Vieles geschah im Geheimen, alles musste zu Fuß erledigt werden, kein Genosse besaß ein Fahrrad. Aber der Wirkungskreis ging weit über Ratzeburg hinaus. Berkenthin, Lassahn und andere Orte werden schon erwähnt.

So viel als kleiner Blick auf die Gründungszeit, genaueres und wirklich interessantes findet sich in der Broschüre zum heutigen Tag: So auch der Aufschwung der Sozialdemokratie im Sozialdemokratischen Arbeiterverein gemeinsam mit der Gewerkschaftsbewegung und dann der Verlust an Einfluss und Zulauf ab 1930 durch das Erstarken der NSDAP. Mit der Machtergreifung Hitlers werden die Zeiten für Sozialdemokraten, Gewerkschaften und Arbeitervereine dunkel. Mit ihrem Verbot scheiden Sozialdemokraten aus allen Vertretungen und Parlamenten aus. Diejenigen, die sich trotz vorherigem Austritt aus der SPD bemühen ihre Mandate wahrzunehmen, werden mit Mehrheitsbeschlüssen ausgeschlossen, diskreditiert, verfolgt.

Dies alles ist Geschichte. Heute ist die SPD in Ratzeburg eine gesellschaftliche Kraft, die aktiv an der Entwicklung unseres Gemeinwesens, wie andere demokratische Parteien auch, mitwirkt. In schwierigen Zeiten haben mutige Männer und Frauen sich dem Zeitgeist widersetzt und Flagge gezeigt für die Verbesserung der Lebensbedingungen von Arbeitern und Arbeiterinnen, für die Schwächeren und Benachteiligten in unserem Land, für Freiheit und Demokratie. Das war nicht einfach und die Geschichte zeigt, dass es immer wieder einzelne waren, die auch hier in Ratzeburg mit Zivilcourage Zeichen gesetzt haben, sich nicht gebeugt haben.

Heute ist das einfacher. Niemand wird wegen seiner Mitgliedschaft bei Sozialdemokraten verfolgt – auch wenn es gerade in diesen Tagen gelegentlich nicht gerade als eine besondere Ehre empfunden wird, Sozialdemokrat zu sein. Aber vielleicht wir die Geschichte einmal urteilen, dass es auch in den Jahren um 2003 Sozialdemokraten waren, die gegen den Zeitgeist, gegen den Widerstand Vieler die notwendigen Schritte zur Weiterentwicklung unseres Sozialstaates in Wohlstand eingeleitet haben – dies zu beurteilen ist sicher jetzt noch zu früh und bleibt Anderen.

Die Menschen in der SPD, die sich in Ratzeburg für unser Gemeinwesen engagieren, tun dies ehrenamtlich. In ihrer Freizeit, aus eigener Überzeugung. Dies verdient Anerkennung, genau so wie es natürlich Anerkennung verdient, wenn Menschen dies in der CDU, der FDP, bei den Grünen oder in Wählergemeinschaften tun. Das Schimpfen auf Politik, ja, das Schimpfen auf Politiker, manchmal nicht nur Schimpfen, sondern Verunglimpfen, Beleidigen, finden wir heute auch noch, auch wenn sie dies mehr in der "großen" Politik abspielt. Aber all diejenigen, die heute nicht nur Gutes über Parteien schlechthin auf den Lippen führen, sollten bedenken, dass gerade in Kommunen, in Städte und Gemeinden, das Gemeinwesen ohne die Parteien, ohne ihre Mitglieder, ohne die Mandatsträger in den Stadt- und Gemeindeparlamenten, nicht denkbar wäre. Das ist die große Errungenschaft der letzten 100 Jahre, an deren Erringen, Verteidigung und Festigung die SPD maßgeblich beteiligt war.

Dass für Sozialdemokraten in der Vergangenheit ein Leitthema immer die Suche nach und das Streiten für Gerechtigkeit Leitthema war, ist durch die Geschichte belegt. Und darauf sind wir Sozialdemokraten stolz. Es ist schwieriger geworden, deutlich zu machen, das dies auch heute, in wieder schwierigeren Zeiten in unserem Land immer noch so ist. Aber der Blick in die Geschichte der 100 Jahre Ratzeburger Ortsverein zeigt auch: Es ist mit Hilfe von beherzten Menschen gelungen, schwierige und schwierigste, auch Tod und Krieg und Verderben bringende Zeiten zu überwinden. Vielleicht neigen wir heute dazu, unsere Probleme größer zu reden, als sie - zumindest im geschichtlichen Vergleich – wirklich sind.

All diejenigen, die heute auf Parteien schimpfen – ganz bestimmt nicht nur zu Unrecht – fordere ich auf, einen Tag wie den heutigen, an dem ein Ortsverein hier in Ratzeburg sein 100. Bestehen feiert, zu nutzen und sich nachdenklich mit der Frage zu beschäftigen, was an die Stelle der Parteien hätte treten können, was an der Stelle der Sozialdemokratischen Partei hätte wirken sollen und was für die Zukunft Gewähr bieten soll für ein Leben in Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Demokratie. Ich sehe keine Alternative.

Ich gratuliere den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Ratzeburg zu ihrem 100. Jubiläum und wünsche ihnen Kraft und Beharrlichkeit, in unserer Zeit weiter zu arbeiten: An einem Gemeinwesen mit sozialem Gesicht, geprägt von so viel Staat wie nötig, so viel Freiheit wie möglich, sozialer Gerechtigkeit, Wohlstand und Frieden.

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